In der Arbeitswelt spielen Tarifverträge eine zentrale Rolle. Sie dienen als Grundlage für die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Aber was genau sind Tarifverträge, und warum sind sie so wichtig? In diesem Artikel finden Sie umfassende Informationen und Hintergründe zu dem Thema – und der Frage, welche Bedeutung Tarifverträge in Zukunft noch haben werden.

Inhaltsverzeichnis:

  1. Was sind Tarifverträge – einfach erklärt?
  2. Definition Tarifvertrag und rechtliche Hintergründe
  3. Vor- und Nachteile für Arbeitnehmer
  4. Vor- und Nachteile für Arbeitgeber
  5. Die Zukunft des Tarifvertrags: Kritik und Herausforderungen
  6. Fazit: Tarifverträge sind unverzichtbar, sollten sich aber weiterentwickeln

Was sind Tarifverträge – einfach erklärt?

Einfach erklärt, stellt ein Tarifvertrag eine Vereinbarung zwischen einer oder mehreren Gewerkschaften und einem oder mehreren Arbeitgebern beziehungsweise deren Vertretern wie Arbeitgeberverbänden dar. Ein Tarifvertrag legt insbesondere Arbeitsbedingungen und Löhne für einen bestimmten Zeitraum fest. Diese Verträge sind rechtlich durchsetzbar und bieten eine gewisse Sicherheit und Vorhersehbarkeit in der Arbeitswelt.

Was wird in einem Tarifvertrag geregelt?

Zu den Themenbereichen, die in einem Tarifvertrag geregelt werden, gehören insbesondere die detaillierten Arbeitsbedingungen. Zum Beispiel:

  • Arbeitszeit
  • Lohn
  • Bezahlung während Krankheit
  • Kündigungsfristen
  • Schutz vor Kündigungen
  • Anzahl der Urlaubstage
  • Sonderzahlungen zu Weihnachten oder für den Urlaub
  • Teilzeitarbeit
  • Bedingungen zu mobilem Arbeiten und Homeoffice

Wichtig für Sie zu wissen: Ein Tarifvertrag steht rechtlich über einem Arbeitsvertrag. „Die Regelungen in einem Tarifvertrag haben somit grundsätzlich Vorrang vor den Regelungen in einem individuellen Arbeitsvertrag“, erläutert Ingrid Brand-Hückstädt, Fachanwältin für Arbeitsrecht.

Für wen gilt ein Tarifvertrag?

Der Tarifvertrag hat Gültigkeit für die Tarifvertragsparteien, die den Vertrag abgeschlossen haben. Das heißt: für die Mitglieder der Gewerkschaften und die Mitglieder der Arbeitgeberverbände. Ein Tarifvertrag kann auch für Arbeitnehmer gelten, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind. Dann muss dies im Arbeitsvertrag vereinbart sein, etwa mit der Formulierung: „Der Tarifvertrag XYZ aus dem Jahr … gilt.“

Seit wann gibt es Tarifverträge?

Das Schließen von Tarifverträgen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern hat eine lange Geschichte in Deutschland. Verschiedenen Quellen zufolge wurde der allererste Tarifvertrag bereits vor über 150 Jahren geschlossen: Die Interessenvertretung der Buchdrucker hat sich diesen Vertrag durch einen Streik erkämpft.

Definition Tarifvertrag und rechtliche Hintergründe

Die heutige Form der Tarifverträge ist durch das Tarifvertragsgesetz (TVG) geregelt. Dieses Gesetz ist am 9. April 1949, also vor 75 Jahren in Kraft getreten. Hier ist eine exakte Definition zum Umfang, den Inhalten und der Funktion von Tarifverträgen nachzulesen.

„Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können“, heißt es in § 1 Abs. 1 TVG. Die Inhalte, die im Rahmen eines Tarifvertrags festgelegt werden, gelten für die Tarifparteien zwingend. Dies wird in § 4 Abs. 1, Abs. 5 TVG geregelt.

Tarifautonomie und sozialer Frieden

Die Anerkennung der Tarifautonomie, also der Selbstverwaltung der Tarifpartner, bildet einen wesentlichen Grundpfeiler des Systems. Diese Autonomie erlaubt es den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, unabhängig und ohne staatliche Einmischung Verhandlungen zu führen und Abschlüsse zu erzielen.

Eine wichtige rechtliche Eigenschaft von Tarifverträgen ist darüber hinaus die Friedenspflicht. Sie besagt, dass während der Laufzeit eines Tarifvertrags keine Kampfmaßnahmen wie Streiks von den Vertragsparteien ergriffen werden dürfen. Zu unterscheiden sind verschiedene Arten von Tarifverträgen. Darauf gehen wir in einem weiteren Artikel [BITTE Artikel “Arten von Tarifverträgen” entsprechend verlinken] ausführlich ein.

Zu den üblichen Arten von Tarifverträgen gehören:

  • Flächentarifvertrag
  • Manteltarifvertrag
  • Entgelttarifvertrag
  • Firmentarifvertrag
  • Änderungstarifvertrag
  • Branchenspezifische Tarifverträge

Vor- und Nachteile für Arbeitnehmer

Tarifverträge haben seit langem ihre Berechtigung und haben sich über Jahrzehnte in der Arbeitswelt bewährt – sowohl für die Arbeitgeberseite als auch für Arbeitnehmer. Neben den damit verbundenen Vorteilen sollten allerdings auch Nachteile nicht verschwiegen werden. Aus Arbeitnehmersicht sind dabei insbesondere folgende Punkte zu nennen.

Vorteile für Arbeitnehmer

  • Gerechte Entlohnung: Ein wesentlicher Vorteil von Tarifverträgen ist die Sicherstellung gerechter und angemessener Löhne.
  • Verbesserte Arbeitsbedingungen: Tarifverträge regeln nicht nur die Bezahlung, sondern auch Arbeitszeiten, Pausen, Urlaubsansprüche und Maßnahmen zum Arbeitsschutz. Sie tragen dazu bei, faire und sichere Arbeitsbedingungen zu schaffen.
  • Gleichheit: Durch branchenweite oder unternehmensspezifische Vereinbarungen werden alle Arbeitnehmer gleichbehandelt. Dies fördert eine Kultur der Gerechtigkeit innerhalb der Arbeitsumgebung.

Nachteile für Arbeitnehmer

  • Eingeschränkte individuelle Verhandlungsmöglichkeiten: Viele Arbeitnehmer bevorzugen heute individuelle Verhandlungen, um bessere Konditionen zu erreichen.
  • Zwang zur Mitgliedschaft: Nicht jeder möchte Mitglied einer Gewerkschaft sein. Heute ist es allerdings gelebte Praxis, dass erzielte Verbesserungen im Rahmen eines Tarifvertrags nur Gewerkschaftsmitgliedern zugute kommen – dadurch droht eine Ungleichbehandlung verschiedener Arbeitnehmer in ein- und demselben Unternehmen sowie ein wachsendes Maß an Intransparenz.
  • Bürokratie und Inflexibilität: Oft wird auch bemängelt, dass der Prozess der Tarifvertragsgestaltung zu langsam vonstatten geht. Auf veränderte Bedingungen wie das mobile Arbeiten wird somit zu spät und zu bürokratisch reagiert.

Vor- und Nachteile für Arbeitgeber

Wie lassen sich Vor- und Nachteile von Tarifverträgen aus der Perspektive der Unternehmen bewerten?

Vorteile für Arbeitgeber

  • Planungssicherheit: Tarifverträge bieten für Arbeitgeber ebenfalls eine gewisse Planungssicherheit bezüglich der Arbeitskosten und -bedingungen. Sie ermöglichen eine bessere Kalkulation und Budgetplanung.
  • Weniger Einzelverhandlungen: Durch kollektive Vereinbarungen reduziert sich der Aufwand für individuelle Gehaltsverhandlungen, was zu einer Vereinfachung der administrativen Prozesse führt.
  • Sozialer Frieden: Die klaren Regelungen und die Friedenspflicht tragen zur Vermeidung von Arbeitskonflikten bei und fördern somit den sozialen Frieden innerhalb des Unternehmens. Diese Stabilität ist besonders wertvoll, da sie eine konstante Produktivität und Arbeitsmoral sichert.

Nachteile für Arbeitgeber

  • Flexibilitätsverlust: Einer der Hauptnachteile von Tarifverträgen aus Sicht der Arbeitgeber ist der potenzielle Verlust an Flexibilität. Feste Regelungen zu Arbeitszeiten, Löhnen und anderen Arbeitsbedingungen können es für Unternehmen schwieriger machen, sich schnell an Marktveränderungen oder wirtschaftliche Schwankungen anzupassen.
  • Aufsplitterung der Belegschaft: Da die Regeln eines Tarifvertrags nur für die Mitglieder der verhandelnden Gewerkschaft gelten, können es Unternehmen mit mehreren Gewerkschaften zu tun haben. Zudem müssen Arbeitgeber jeweils entscheiden, ob sie Mitarbeiter unterschiedlich behandeln wollen – oder von sich aus die Regeln aus Tarifverträgen auch für Nicht-Gewerkschafter anwenden. Klare Regelungen zum Umgang mit diesen Fragen gibt es nicht.

Die Zukunft des Tarifvertrags: Kritik und Herausforderungen

Auch wenn sich Tarifverträge seit vielen Jahrzehnten in der Praxis der Arbeitswelt bewähren, ist dieses Instrument einem Wandel unterworfen. Verschiedene Faktoren haben dazu geführt, dass Tarifverträge in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung verloren haben. So stellt das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) fest, dass die Mehrheit der Arbeitgeber heute gar nicht mehr von einem Tarifvertrag erfasst werden.

Eine weitere IW-Studie besagt, dass lediglich 17 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland überhaupt noch Mitglied einer Gewerkschaft sind – eine klare Minderheit also. Daher erscheint die Frage zulässig, warum die anderen 83 Prozent der Belegschaft in einem Tarifvertrag benachteiligt werden sollten.

Eine deutliche Mehrheit arbeitet außerhalb von Tarifverträgen

Eine Auswertung des Sozio-oekonomischen Panels zeigt laut IW, dass bereits im Jahr 2017 nur noch 37 Prozent der Beschäftigten nach einem Flächentarifvertrag bezahlt wurden und weitere elf Prozent nach einem Firmentarifvertrag. Diese Zahlen dürften in den vergangenen Jahren zurückgegangen sein. Damit stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Tarifvertrag als wichtiges Instrument des sozialen Friedens in Zukunft noch haben wird.

Veränderungen der Arbeitswelt

Schließlich befinden sich zahlreiche Branchen und damit die gesamte Arbeitswelt in einem umfassenden Transformationsprozess. Damit einhergehend ändern sich auch die Anforderungen an Tarifverträge. Digitalisierung, Globalisierung und der Übergang zur Wissensgesellschaft stellen neue Herausforderungen dar. Flexible Arbeitsmodelle, Homeoffice und die zunehmende Bedeutung von Dienstleistungsberufen erfordern innovative Tariflösungen.

Gewerkschaften und Arbeitgeber stehen vor der Aufgabe, Tarifverträge so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen einer modernen Arbeitswelt gerecht werden. Allerdings würden Gewerkschaften dabei häufig eine fragwürdige Strategie verfolgen, betont Dirk Schaper, Vorstandsmitglied der AUB: „Die AUB stellt sich nicht gegen Tarifverträge – ganz im Gegenteil! Allerdings sehen wir die Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern zunehmend kritisch.“

Gleichbehandlung und Transparenz in Gefahr

Schaper beobachtet nach eigenen Worten eine „fatale Entwicklung“, die dem Geist einer transparenten und gerechten Gleichbehandlung aller Arbeitgeber zuwiderläuft: „Es gibt eine fatale Entwicklung, Betriebsvereinbarungen durch Tarifverträge zu ersetzen und damit Betriebsräte zu entmachten. Notwendige Tabellenerhöhungen wurden zu oft durch Sondervereinbarungen ersetzt.“ Zudem hat sich in vielen Branchen eine Vielzahl an Tarifverträgen angesammelt, was zu einem regelrechten Vertragsdschungel führt.

„Für einen normalen Arbeitnehmer ist dies kaum noch zu durchschauen, Darüber hinaus ist die Suche nach den entsprechenden Vereinbarungen für nicht in einer Gewerkschaft organisierte Arbeitnehmer außerhalb ihres Betriebes nahezu unmöglich“, betont Schaper und verweist darauf, dass die Gewerkschaften ihre getroffenen Vereinbarungen in der Regel nicht veröffentlichen. „Daher stellt sich für mich die Frage: Wo bleibt die vielbeschworene Solidarität der Gewerkschaften, wenn es über den Kreis ihrer Mitglieder hinausgeht?“ Daher sei ein Umdenken dringend geboten, damit Tarifverträge auch in Zukunft noch ihren eigentlichen Zweck erfüllen können.

Fazit: Tarifverträge sind unverzichtbar, sollten sich aber weiterentwickeln

Tarifverträge sind ein wesentliches Element in der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Sie bieten sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern eine Reihe von Vorteilen, bringen aber auch Herausforderungen mit sich. In einem sich schnell wandelnden Arbeitsmarkt ist es wichtig, dass Tarifverträge weiterentwickelt werden, um weiter den Bedürfnissen der Arbeitnehmer nach fairen Arbeitsbedingungen gerecht werden zu können – auch für diejenigen, die sich bewusst gegen die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft entscheiden. Denn Nicht-Gewerkschaftsmitglieder befinden sich heute in der deutlichen Mehrheit. Schon aus Aspekten der Transparenz und der Gerechtigkeit scheinen Veränderungen dringend notwendig zu sein.

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