Langzeiterkrankungen werden immer mehr zu einem sozialen und wirtschaftlichen Problem. 40 Prozent aller Fehltage im Jahr 2024 sind auf Krankschreibungen von sechs Wochen und mehr zurückzuführen, berichtet das Wissenschaftliche Institut der AOK. Und auch der Weg zurück ins Berufsleben nach der Gesundung ist nicht immer einfach. Genau hier setzt das sogenannte Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) an. Was darunter zu verstehen ist und wie Sie sich als Betroffener auf ein BEM Gespräch vorbereiten können, erfahren Sie im folgenden Artikel.

Inhalt

  1. BEM: Was bedeutet das und was ist ein BEM Gespräch?
  2. Ziele und Vorgehen beim BEM Verfahren
  3. Detaillierter Ablauf eines BEM Gesprächs
  4. BEM Gespräch und der Betriebsrat
  5. 6 Tipps für Arbeitnehmer: Ein BEM Gespräch vorbereiten
  6. BEM Gespräch und eine mögliche Kündigung
  7. BEM Gespräch: Vorteile für Arbeitnehmer
  8. BEM Gespräch: Nachteile für Arbeitnehmer
  9. Fazit

BEM: Was bedeutet das und was ist ein BEM Gespräch?

Seit fast zwei Monaten ist Herr Meier krankgeschrieben – die Bandscheibe. Nur langsam geht es für ihn gesundheitlich bergauf. Da erhält er einen Brief seines Arbeitgebers: eine Einladung zum BEM Gespräch. „Was ist das? Was muss ich da sagen? Und muss das wirklich sein?“, fragt sich Herr Meier. Die kurze Antwort: Ja, auch wenn keine Pflicht besteht, sollte Herr Meier die Einladung zum BEM Gespräch annehmen – und das aus mehreren guten Gründen.

Gründe für das Betriebliche Eingliederungsmanagement

Wenn Arbeitnehmende innerhalb von zwölf Monaten länger als sechs Wochen krankgeschrieben sind, spricht man von einer Langzeiterkrankung. Die Ursachen dafür sind naturgemäß sehr vielfältig – ob Arbeitsunfall, eine schwerwiegende körperliche Erkrankung oder beispielsweise eine Krebstherapie. Insbesondere psychische Erkrankungen und damit verbunden lange Ausfallzeiten nehmen laut den Statistiken der Krankenkassen seit einigen Jahren spürbar zu.

Selbstverständlich steht zunächst die eigene Gesundheit an erster Stelle. Gleichzeitig fragen sich viele Betroffene, wie sie nach vielen Wochen und Monaten der Erkrankung wieder zurück ins Berufsleben finden können – reichen dafür die eigenen körperlichen Kräfte aus? Um Betroffenen diese Ängste zu nehmen, zielt das Betriebliche Eingliederungsmanagement auf ein planvolles, strukturiertes Vorgehen ab, das den Wiedereinstieg ins Berufsleben so einfach wie möglich machen soll.

BEM Gespräch: Pflicht ab wann?

„Somit bildet BEM einen zentralen Bestandteil des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in Unternehmen – und das BEM Gespräch ist dabei von großer Bedeutung, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Was längst nicht alle wissen: Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, Mitarbeitenden im Fall einer Langzeiterkrankung ein derartiges BEM Gespräch anzubieten. Betroffene selbst können die Einladung zum BEM Gespräch wahrnehmen, sind aber nicht dazu verpflichtet“, erklärt Ingrid Brand-Hückstädt, AUB Rechtsexpertin und renommierte Fachanwältin für Arbeitsrecht.

Die Pflicht des Arbeitgebers für ein Betriebliches Eingliederungsmanagement ist im § 167 SGB IX Abs. 2 geregelt: Demnach sind Arbeitgeber zu BEM Maßnahmen aufgerufen, wenn Mitarbeitende innerhalb von zwölf Monaten mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig sind – das kann eine einmalige, längere Krankschreibung sein oder es kann sich auch um mehrere Krankheitsphasen handeln. Die Wiedereingliederung in das Berufsleben ist ein häufig langwieriger Prozess. Der Arbeitgeber ist in der Bringschuld, aber selbstverständlich sind auch Mitarbeitende gefordert, sich aktiv in den Prozess einzubringen.

Ziele und Vorgehen beim BEM Verfahren

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement verfolgt ein klares Ziel: Beschäftigte nach längerer Krankheit nachhaltig im Berufsleben zu halten. Damit das gelingt, stehen mehrere Aspekte im Mittelpunkt:

  • Die Rückkehr an den Arbeitsplatz soll möglichst stabil und dauerhaft gelingen.
  • Bestehende gesundheitliche Einschränkungen sollen überwunden oder zumindest verbessert werden.
  • Es geht darum, erneute Krankheitsausfälle – insbesondere chronische Verläufe – zu vermeiden.
  • Frühzeitig wird eingegriffen, wenn sich eine längere Erkrankung abzeichnet.
  • Auch Überlastungen oder unpassende Anforderungen im Job sollten erkannt und abgebaut werden.
  • Und nicht zuletzt: Wer schneller wieder arbeiten kann, erhält auch zügiger wieder das volle Gehalt statt Krankengeld.

Wer ist am BEM beteiligt?

Damit der Weg zurück in den Job gelingt, arbeiten verschiedene Personen und Institutionen eng zusammen:

  • der Arbeitgeber oder eine beauftragte Person,
  • der betroffene Mitarbeitende selbst,
  • bei Bedarf: die Schwerbehindertenvertretung,
  • der Betriebsrat, sofern im Unternehmen vorhanden,
  • und je nach Situation: Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit.

Welche Unterstützung ist möglich?

BEM ist kein starres Verfahren, sondern bietet individuelle Lösungen. Dazu zählen zum Beispiel:

  • ein stufenweiser Wiedereinstieg mit reduzierter Stundenzahl,
  • ergonomische Anpassungen oder technische Hilfsmittel,
  • Umschulungen oder Fortbildungen,
  • arbeitstherapeutische Maßnahmen,
  • die Anpassung des Arbeitsplatzes an gesundheitliche Bedürfnisse,
  • oder sogar ein Wechsel in eine andere Abteilung.

All das zielt darauf ab, Arbeitsfähigkeit zu sichern – im Sinne des Mitarbeiters wie auch des Unternehmens.

Detaillierter Ablauf eines BEM Gesprächs

1. Einladung zum BEM Gespräch

Sobald ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krankheitsbedingt ausgefallen ist, wird das Betriebliche Eingliederungsmanagement aktiv. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, zu einem BEM Gespräch einzuladen. Ingrid Brand-Hückstädt erklärt: „Die Teilnahme ist freiwillig – niemand ist verpflichtet, der Einladung zu folgen oder seine Entscheidung zu begründen.“ Neben dem Mitarbeitenden selbst können auch Interessenvertretungen, wie der Betriebsrat oder ein Rehabilitationsträger, einbezogen werden.

2. Betriebsärztliche Begutachtung

In manchen Fällen kann es hilfreich sein, eine betriebsärztliche Einschätzung hinzuzuziehen. Wichtig zu wissen: Diese Untersuchung kann nur mit Zustimmung des Mitarbeiters erfolgen. Eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht ist nicht zwingend notwendig – sie kann jedoch dabei unterstützen, passende Lösungen zu finden, die sowohl die Gesundheit als auch den Arbeitsplatz berücksichtigen.

3. Ziele des Gesprächs

Im Mittelpunkt des BEM Gesprächs steht die Frage: Was hat zur längeren Arbeitsunfähigkeit geführt – und gibt es einen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit? Ziel ist es, die Ursachen zu verstehen und herauszufinden, ob betriebliche Bedingungen angepasst werden müssen.

4. Entwicklung von Maßnahmen

Auf Basis ärztlicher Hinweise, Vorschläge der betrieblichen Interessenvertretung oder möglicherweise eigener Ideen des Mitarbeiters werden geeignete Maßnahmen besprochen. Dabei können viele Aspekte eine Rolle spielen: von der Anpassung der Aufgaben über veränderte Arbeitszeiten bis hin zur ergonomischen Gestaltung des Arbeitsplatzes.

5. Abschluss und Dokumentation

Am Ende des Gesprächs wird gemeinsam festgehalten, ob konkrete Schritte vereinbart wurden – und wenn ja, welche. Diese Maßnahmen werden schriftlich protokolliert. Das Protokoll bildet auch die Grundlage für ein Folgegespräch, bei dem überprüft wird, wie erfolgreich die Umsetzung war und ob weitere Schritte nötig sind.

BEM Gespräch und der Betriebsrat

Wird der Betriebsrat in das Betriebliche Eingliederungsmanagement und in ein BEM Gespräch einbezogen? Die Antwort lautet: teils, teils. Laut § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat sowie – sofern vorhanden – die Schwerbehindertenvertretung hinzuzuziehen. Arbeitgeber sind zudem verpflichtet, den Betriebsrat über anstehende BEM Verfahren zu informieren. Der Betriebsrat kann auch die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zum BEM überwachen und die Umsetzung von Maßnahmen zur Wiedereingliederung prüfen.

Wichtig: Freiwilligkeit steht an erster Stelle

Betriebsräte sollten dabei eines stets im Blick behalten: Für die betroffene Person ist die Teilnahme am Betrieblichen Eingliederungsmanagement und am BEM Gespräch freiwillig. Sie kann das Verfahren jederzeit verlassen, einzelnen Maßnahmen widersprechen oder eine zuvor erteilte Zustimmung zurückziehen – ohne Angabe von Gründen.

6 Tipps für Arbeitnehmer: Ein BEM Gespräch vorbereiten

  1. Gute Vorbereitung zählt

Tragen Sie vor dem Termin alle wichtigen Unterlagen zusammen: Zeiträume Ihrer Krankmeldungen, ärztliche Befunde (soweit Sie sie teilen möchten) sowie Hinweise auf belastende Faktoren im Job – etwa dokumentierte Überstunden oder häufige Schichtwechsel. Mit einer soliden Grundlage fällt es leichter, im Gespräch Ihre Situation sachlich darzustellen.

  • Vertrauensperson mitnehmen

Sie dürfen eine Person Ihres Vertrauens zum BEM Gespräch hinzuziehen – etwa einen Kollegen, ein Familienmitglied, den Betriebsrat oder eine andere unterstützende Begleitung. Das kann Anspannung reduzieren und hilft, Inhalte besser nachzuhalten. Wichtig: Melden Sie vorab an, dass Sie eine Begleitung mitbringen.

  • Offen ansprechen, was belastet

Nutzen Sie das Gespräch, um ehrlich über Einschränkungen, Sorgen oder Befürchtungen zu sprechen. Nur wenn die Beteiligten wissen, wo es hakt, lassen sich passende Lösungen entwickeln – zum Beispiel ergonomische Anpassungen, veränderte Aufgaben oder flexiblere Arbeitszeiten.

  • Langfristige Perspektive entwickeln

BEM soll mehr sein als eine schnelle Rückkehr: Ziel ist, Ihre Arbeitsfähigkeit dauerhaft zu stabilisieren. Denken Sie daher auch an mittel- und langfristige Schritte – Gesundheitsprävention, Belastungssteuerung, ggf. Qualifizierung oder Veränderungen in Organisation und Arbeitsumfeld.

  • Rechtliche Unterstützung prüfen

Wenn Sie unsicher sind, ob Ihre Erkrankung arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte – etwa eine krankheitsbedingte Kündigung –, holen Sie frühzeitig Rat ein. Unser Tipp: Bei weiteren Fragen wenden Sie sich gerne unverbindlich an die AUB Geschäftsstelle.

  • Ruhe bewahren – Chance nutzen

Das BEM ist als Hilfsangebot gedacht: Es soll Wege eröffnen, wie Sie gesund arbeiten können. Gehen Sie konstruktiv in den Austausch und nutzen Sie die Gelegenheit, gemeinsam mit dem Arbeitgeber tragfähige Lösungen zu finden.

BEM Gespräch und eine mögliche Kündigung

Kündigung wegen einer Erkrankung – ist dies rechtlich möglich? Ingrid Brand-Hückstädt klärt auf: „Eine sogenannte krankheitsbedingte Kündigung ist zwar an strenge Voraussetzungen geknüpft, aber grundsätzlich erlaubt.“ Dies ist zugleich ein weiteres Argument, warum betroffene Arbeitnehmende möglichen BEM Maßnahmen und einem BEM Gespräch grundsätzlich offen gegenüber stehen sollten.

Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung

Drei Voraussetzungen müssen für eine mögliche Kündigung gegeben sein:

  1. Die Fehlzeiten müssen erheblich sein und eine betriebliche Belastung darstellen.
  2. Es muss wahrscheinlich sein, dass sich an diesem Zustand in Zukunft nichts ändert – also wenn eine negative Gesundheitsprognose vorliegt.
  3. Eine Interessenabwägung muss zeigen, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar ist.

Was bedeutet eine „negative Prognose“?

Die sogenannte negative Zukunftsprognose besagt, dass auch in den kommenden Jahren mit erheblichen krankheitsbedingten Ausfällen zu rechnen ist. Dabei geht es nicht um eine genaue Diagnose, sondern um die Einschätzung, ob eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit oder ständige Wiedererkrankungen zu erwarten sind. Großen Einfluss darauf haben die Art und die Regelmäßigkeit der Erkrankungen.

Kündigung und Abfindung

Ingrid Brand-Hückstädt führt weiter dazu aus: „Ob all diese Punkte erfüllt sind, bewerten im Zweifelsfall die Arbeitsgerichte.“ So würden Gerichte meist den Zeitraum der letzten drei Jahre prüfen. Wer in jedem dieser Jahre mehr als sechs Wochen krank war, gilt häufig als dauerhaft gesundheitlich beeinträchtigt.

Die Fachanwältin erklärt weiter: „Auch bei einer durchgehenden, länger andauernden Erkrankung kann eine Kündigung drohen – insbesondere, wenn keine baldige Rückkehr in den Job absehbar ist.“ In jedem Fall sind Betroffene gut beraten, die Gründe und Rechtmäßigkeit der Kündigung zu prüfen, sich anwaltlichen Rat zu suchen und etwa auch ihren Anspruch auf eine Abfindung prüfen zu lassen.

BEM Gespräch: Vorteile für Arbeitnehmer

Ein BEM Gespräch bietet Arbeitnehmern vielfältige Optionen und Vorteile:

  • Sicherung des Arbeitsplatzes und Reduzierung des Kündigungsrisikos
  • Frühzeitige und nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen
  • Individuelle und maßgeschneiderte Unterstützung
  • Positive Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden

BEM Gespräch: Nachteile für Arbeitnehmer

Bei allen Vorteilen sind selbstverständlich auch mögliche Nachteile abzuwägen:

  • Psychologischer Druck oder Ängste vor Konsequenzen
  • Befürchtungen bezüglich Datenschutz und Privatsphäre
  • Gefahr unzureichender Umsetzung durch Arbeitgeber

Fazit

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement und ein BEM Gespräch bieten langzeiterkrankten Arbeitnehmenden wertvolle Chancen für eine langfristige Sicherung ihrer Beschäftigung und Gesundheit. Eine sorgfältige Vorbereitung und offene Kommunikation erhöhen den Erfolg des Verfahrens deutlich. Unsere Tipps: Informieren Sie sich vorher gründlich, schalten Sie etwa Ihren Betriebsrat oder eine Vertrauensperson ein und überdenken Sie alle Schritte in Ruhe.

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