Das Streikrecht ist ein wertvolles Gut. Es zählt zu den schlagkräftigsten Instrumenten, die Arbeitnehmenden zur Verfügung stehen, um ihre Interessen durchzusetzen. Deshalb ist das Recht verfassungsrechtlich geschützt. Gleichzeitig ist es wichtig zu wissen, dass dieses scharfe Mittel des Arbeitskampfes an klare Regeln gebunden ist.

Umso wichtiger ist es aus Sicht der AUB, dieses Instrument nur wohl dosiert und unter Abwägung aller Folgen und Konse quenzen anzuwenden. Und: Verschiedene Umfragen und Studien zeigen, dass die Häufung von Streikfällen in den vergangenen Jahren bei der Bevölkerung nur auf wenig Zustimmung trifft. In diesem Artikel erfahren Sie, unter welchen Bedingungen Arbeitnehmende in Deutschland streiken dürfen, welche Einschränkungen es gibt und welche Rechte und Pflichten gelten.

Inhaltsverzeichnis

  1. Streikrecht: Grundgesetz, Historie und Definition
  2. Wird zu viel gestreikt?
  3. Wann darf man streiken?
  4. Recht zu streiken: Für welche Ziele?
  5. Wer darf streiken?
  6. Streikrecht und die Aussperrung
  7. Fazit

Streikrecht: Grundgesetz, Historie und Definition

Die Geschichte des Streikrechts ist eng mit den Kämpfen der Arbeitnehmerbewegung verbunden. In der frühen Industrialisierung waren die Arbeitsbedingungen oft prekär, es gab kaum Schutzmechanismen für Beschäftigte. Die Möglichkeit, sich kollektiv gegen die Arbeitgeber zu organisieren, war entscheidend, um grundlegende Rechte und Standards am Arbeitsplatz durchzusetzen.

In Deutschland hat sich das Streikrecht durch verschiedene gesetzliche Regelungen und politische Auseinandersetzungen entwickelt und ist heute fest in der Verfassung verankert. Streiks bleiben somit ein wichtiges Werkzeug, das Arbeitnehmende nutzen, um ihre Interessen zu wahren und zu stärken. Da die rechtlichen Grundlagen alle lediglich aus jahrelanger Rechtsprechung stammen, wird derzeit diskutiert, ob es nicht sinnvoll wäre, das Streikrecht in eine gesetzliche Grundlage zu fassen. „Dies würden wir sehr befürworten, da sich damit mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten verbinden würde“, sagt die AUB-Rechtsanwältin Ingrid Brand-Hückstädt.

Definition: Was ist ein Streik?

Unter Streikrecht wird juristisch verstanden, dass mehrere Arbeitnehmende gemeinsam zeitweise verweigern, ihren Pflichten aus dem Arbeitsvertrag nachzukommen, sondern stattdessen ihre Tätigkeit niederzulegen. „Streik dient als Instrument, um Interessen der Belegschaft gegenüber dem Arbeitgeber Nachdruck zu verleihen. Dabei unterliegt es klaren gesetzlichen Grundlagen und Regeln“, erklärt die AUB-Expertin Ingrid Brand-Hückstädt, Fachanwältin für Arbeitsrecht.

Was sagt das Grundgesetz zum Streikrecht?

Das Streikrecht leitet sich aus Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes ab, der die sogenannte Koalitionsfreiheit garantiert. Für einen Streik müssen vorher bestimmte Schritte erfolgen und Voraussetzungen erfüllt sein. Zudem ist ein Streik nur dann zulässig, wenn er ein klares Ziel – beispielsweise den Abschluss eines Tarifvertrags zur Regelung relevanter Fragen – bezweckt. „Das Verfolgen politischer Ziele durch Streiks hingegen ist in Deutschland verboten, anders als in Ländern wie Frankreich“, so Ingrid Brand-Hückstädt weiter.

Wird zu viel gestreikt?

Mal waren es die Lokführer, dann die Flugbegleiter, schließlich Müllabfuhr und Kindergärten: Viele Menschen haben den Eindruck, dass sich Streiks in den vergangenen Jahren zunehmend häufen. Das führt zu Ärger und Frust – vor allem dann, wenn Einrichtungen der öffentlichen Infrastruktur zeitweise lahmgelegt werden. Bei sich stapelnden Müllsäcken am Straßenrand oder wenn wiederholt Bahn und Bus ausfallen, schwindet nachweisbar bei vielen das Verständnis fürs Streiken.

Umfragen zum Streikfrust

Zehntausende Menschen waren von Arbeitskämpfen der letzten Zeit betroffen. Vor diesem Hintergrund wird selbst in den öffentlich-rechtlichen Medien kritisch darüber diskutiert, ob nicht ein neues Streikrecht notwendig wäre. Ein Bild, das sich zum Beispiel in einer Insa-Umfrage bestätigt hat: Demnach sprechen sich fast 60 Prozent der Menschen in Deutschland für eine Reform des Streikrechts bei kritischen Infrastrukturen wie Bahnhöfe und Flughäfen aus. Zudem unterstützen 40 Prozent der Befragten den Vorschlag, Streiks erst nach einer viertägigen Ankündigungsfrist sowie nach einem Schlichtungsverfahren zu erlauben.

„Bei jedem Streik, auch bei Warnstreiks, ist verantwortungsvoll abzuwägen, welche Ziele mit der Arbeitsniederlegung verfolgt werden sollen – und ob diese Ziele die unter Umständen massiven Eingriffe in den Alltag vieler Tausend Menschen rechtfertigen“, kommentiert dazu der AUB-Vorstandsvorsitzende Rainer Knoob. Bei manchen Arbeitskämpfen der vergangenen Zeit sei diese Balance nicht immer gegeben gewesen, so Knoob weiter: „Gerade der Öffentliche Personennahverkehr ist für viele Menschen unverzichtbar. Hier würde ich mir bisweilen mehr Augenmaß von Seiten der Gewerkschaften wünschen – bei allem Verständnis für die eine oder andere tarifliche Forderung.“

Wann darf man streiken?

Eine zentrale Voraussetzung für einen rechtmäßigen Streik in Deutschland ist die Einhaltung der sogenannten Friedenspflicht. Diese Regelung besagt, dass während der Laufzeit eines Tarifvertrags keine Arbeitskampfmaßnahmen, einschließlich Streiks, erlaubt sind. „Solange ein Tarifvertrag Gültigkeit hat, also noch nicht das Ende seiner Laufzeit erreicht hat oder nicht frist- und ordnungsgemäß gekündigt wurde, sind keine Maßnahmen des Arbeitskampfes erlaubt, wenn sich diese gegen den Bestand des Tarifvertrags oder darin enthaltene Regelungen richten“, schildert Ingrid Brand-Hückstädt weiter.

Ablauf der Friedenspflicht

Dabei sind relevante Fristen zu beachten: Solange ein ungekündigter Tarifvertrag Gültigkeit besitzt, besteht für Arbeitnehmervertretungen kein Recht zu streiken. Die Friedenspflicht endet grundsätzlich mit dem Ablauf der vereinbarten Dauer des Tarifvertrags oder mit dem Ablauf der Kündigungsfrist. Eine wichtige rechtliche Vorgabe: Streiks sind nur zulässig, wenn sich die Arbeitnehmenden entsprechend organisiert haben – im Gegenzug zum nicht erlaubten „wilden“ Streik.

Recht zu streiken: Für welche Ziele?

Ein Streik muss sich somit auf tarifliche Ziele beziehen, um als rechtmäßig anerkannt zu werden. Diese Ziele können zum Beispiel bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne oder kürzere Arbeitszeiten umfassen. Wichtig zu wissen: Ein Streik gilt im Rahmen von tariflichen Verhandlungen gemeinhin als letztes Mittel („ultima ratio“) des Arbeitskampfes – also darf das Streikrecht erst dann in Anspruch genommen werden, wenn Verhandlungsrunden und andere Maßnahmen nicht (mehr) weiterführen.

„Dieses Prinzip ist wichtig und sollte wieder stärker in den Köpfen aller Beteiligten verankert werden“, unterstreicht Rainer Knoob für die AUB. Ob diese sachgerechte Abwägung immer gegeben ist – gerade mit Blick auf weitergehende wirtschaftliche und gesellschaftliche Beeinträchtigungen, die Streiks nach sich ziehen – kann aus unserer Sicht bezweifelt werden. Rainer Knoob: „Als unabhängige Arbeitnehmervertretung appellieren wir daher deutlich, bei allen Arbeitskampfmaßnahmen Maß zu halten und Streiks nicht inflationär auszurufen.!

Wer darf streiken?

Unter den oben genannten Voraussetzungen dürfen alle Arbeitnehmende in einem betroffenen Betrieb beziehungsweise Betriebsteil in den Streik treten – unabhängig von der Frage, ob sie Mitglied einer Gewerkschaft sind oder nicht. Anders verhält es sich mit Beamten: Sie dürfen in Deutschland aufgrund ihrer besonderen Loyalitätspflicht grundsätzlich nicht streiken.

Für bestimmte Berufsgruppen im öffentlichen Dienst und in sicherheitsrelevanten Bereichen sind Streikmöglichkeiten stark eingeschränkt. So besteht hier unter anderem die Pflicht, Notdienste einzurichten, um beispielsweise die öffentliche Versorgungssicherheit etwa in kritischen Infrastrukturen jederzeit zu gewährleisten.

Sind während eines Streiks Kündigungen erlaubt?

Die rechtliche Sicht auf diese Frage ist eindeutig, so Ingrid Brand-Hückstädt: „Wenn ein Streik rechtmäßig ist, ist eine Kündigung von streikenden Arbeitnehmenden infolgedessen nicht zulässig.“ Anders verhält es sich hingegen im Fall eines Streiks, der nicht die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Hier müssen Arbeitnehmende mit Kündigungen, einer Abmahnung oder ähnlichen disziplinarischen Maßnahmen rechnen.

Streikrecht und Aussperrung

Das Instrument der Aussperrung ist sowohl rechtlich als auch politisch sehr umstritten. Bei diesem Vorgehen untersagen Arbeitgeber auch Beschäftigten, die arbeitswillig sind, den Zugang zum Betrieb unter dem Wegfall von Entgeltzahlungen. Das Instrument der Aussperrung ist in Deutschland nicht grundsätzlich untersagt. Anders verhält sich dies im europäischen Ausland: Teils ist dort eine Aussperrung verboten oder die Arbeitgeber sind zur Lohnfortzahlung verpflichtet – dadurch verliert das Instrument naturgemäß seine Rolle als Druckmittel in Tarifauseinandersetzungen.

Rechtsprechung zur Aussperrung

Die Rechtsprechung zum Instrument der Aussperrung hat sich über die Jahrzehnte weiterentwickelt. Die Gerichte bis hin zum Bundesarbeitsgericht (BAG) haben sich wiederholt mit dieser Frage befassen müssen. Mit verschiedenen Urteilen in diesen Angelegenheiten hat das BAG das Vorgehen der sogenannten heißen Aussperrung deutlich eingeschränkt und Arbeitgebern klare Vorgaben dazu festgelegt. Eines dürfte klar sein: Zur Befriedung einer Tarifauseinandersetzung sind Aussperrungen denkbar schlecht geeignet.

Solidarfonds für AUB Mitglieder

Eine weitere zentrale Frage zu Streiks, die viele Menschen beschäftigt: Wer kommt für etwaige Einkommensverluste auf, wenn ich nicht arbeiten kann, ich aber auch nicht Mitglied einer Gewerkschaft bin beziehungsweise nicht sein möchte? Die Fachanwältin Ingrid Brand-Hückstädt erklärt die Situation für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder: „Wird durch eine Gewerkschaft zum Streik aufgerufen und ist Ihr Arbeitsplatz davon betroffen, dann sind Sie gehalten „Ihre Arbeitskraft anzubieten“.

Das bedeutet in der Praxis, dass Sie gegenüber Ihrer Führungskraft erklären, dass Sie nicht beabsichtigen, an Streikmaßnahmen teilzunehmen und weiterarbeiten wollen.“ Ist dies jedoch nicht möglich – zum Beispiel, weil Streikposten den Zugang zum Unternehmen verhindern –, sind Mitglieder der AUB finanziell geschützt. In diesem Fall erhalten sie eine Unterstützung gemäß der Richtlinie zur Verwendung des Solidaritätsfonds der AUB.

Fazit

Das Streikrecht in Deutschland räumt Arbeitnehmenden die Möglichkeit ein, für ihre Rechte und Forderungen einzutreten. Dieses Recht ist durch das Grundgesetz geschützt. Gleichzeitig bestehen klare Voraussetzungen und Regelungen in Deutschland, die einzuhalten sind. Ohnehin stehen Streiks erst am Ende einer langen Reihe von Tarifverhandlungen und weiteren Maßnahmen. Die AUB spricht sich eindeutig gegen Streikaufrufe quasi „über Nacht“ aus, wenn unter den Folgen die allgemeine Öffentlichkeit leidet.

Sie haben weitere Fragen rund um das Arbeitsrecht? Bei der AUB finden Sie kompetente Ansprechpartner, die Ihre Fragen beantworten. Mit unserem Campus bieten wir vielfältige Seminarangebote für Betriebsräte sowie individuelle Coachings an.

Sind Sie schon
überzeugt?
Online Mitgliedsantrag
Sie wollen mehr
wissen?
AUB Ansprechpartner