Der Pauschalreiseanbieter FTI, das Modehaus Esprit, die Buchhandelskette Weltbild: Zahlreiche namhafte Insolvenzen haben im Jahr 2024 für Negativschlagzeilen gesorgt. Für betroffene Arbeitnehmende gleicht dies einer Hiobsbotschaft: Was tun, wenn quasi über Nacht der eigene Job in Gefahr ist? Eines ist klar: Panik ist in dieser Situation kein guter Ratgeber. In Deutschland bestehen klare gesetzliche Regelungen, die sicherstellen, dass Betroffene nicht völlig schutzlos dastehen. In diesem Artikel finden Sie umfassende Tipps und Informationen dazu, was Arbeitnehmende im Fall einer Insolvenz ihres Arbeitgebers tun sollten.
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen: Was ist eine Unternehmensinsolvenz?
- Warum gehen Unternehmen insolvent?
- Ablauf eines Insolvenzverfahrens: Was passiert bei einer Insolvenz des Arbeitgebers?
- Ihre Rechte als Arbeitnehmer bei Insolvenz
- Checkliste: Wie reagieren Sie richtig auf die Insolvenz Ihres Arbeitgebers?
- Praktische Tipps: Wie sichern Sie Ihre Ansprüche?
- Fazit
Grundlagen: Was ist eine Unternehmensinsolvenz?
Wenn bekannte Unternehmen mit vielen Hunderten oder Tausenden Beschäftigten in Schieflage geraten, sorgt das für Schlagzeilen in den Medien. Doch ebenso gravierend für die Beschäftigten sind die Firmenpleiten, die es nicht bis in die Tagesschau schaffen. Die schwache Konjunktur, hohe Energiepreise und angespannte Märkte setzen viele Branchen in Deutschland aktuell unter Druck. Die Folge: Die Zahl der Insolvenzen nimmt deutlich zu – auf voraussichtlich über 22.000 betroffene Unternehmen im Gesamtjahr 2024, wie der Kreditversicherer Allianz Trade berichtet.
Zahl der Firmenpleiten in Deutschland nimmt weiter zu
Noch fataler: Für 2025 ist nach Ansicht der Experten kaum mit einer Entspannung zu rechnen. Ganz im Gegenteil geht Allianz Trade von einer weiteren Zunahme der Firmeninsolvenzen auf über 23.000 Fälle auf. Viele Tausende Arbeitsplätze sind somit gefährdet. „Angesichts dieser düsteren Rahmenbedingungen ist es umso wichtiger, dass Arbeitnehmende ihre eigenen Rechte und Ansprüche kennen – und im Fall einer Insolvenz auch einfordern, wenn möglich, mit Unterstützung ihres Betriebsrates und einer Arbeitnehmervertretung“, unterstreicht der AUB-Vorstandsvorsitzende Rainer Knoob.
Arbeitgeber insolvent: Definition und rechtlicher Hintergrund
Doch was genau ist unter einer Unternehmensinsolvenz zu verstehen? Dieser Fall tritt ein, wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Gemäß der deutschen Insolvenzordnung (InsO) muss ein Unternehmen spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag stellen. Andernfalls können für Gesellschafter und Geschäftsführer rechtliche Konsequenzen etwa aufgrund einer mutmaßlichen Insolvenzverschleppung drohen.
Doch was ist der Unterschied zwischen einer Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung?
- Zahlungsunfähigkeit: Das Unternehmen kann seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen.
- Überschuldung: Die Schulden des Unternehmens übersteigen dauerhaft dessen Vermögenswerte.
Warum gehen Unternehmen insolvent?
Die Ursachen für eine Unternehmensinsolvenz sind höchst unterschiedlich. Sie können sowohl externe als auch interne Gründe umfassen.
Interne Ursachen
- Managementfehler: Fehlentscheidungen oder mangelnde Kompetenz können zu wirtschaftlichen Problemen führen.
- Fehlende Innovationsfähigkeit: Unternehmen, die sich nicht an veränderte Marktbedingungen anpassen, verlieren oft den Anschluss.
- Unzureichende Finanzplanung: Mangelhafte Liquiditätsplanung oder zu hohe Schulden können ein Unternehmen in die Insolvenz treiben.
Externe Faktoren
- Wirtschaftliche Rahmenbedingungen: Konjunkturelle Schwächephasen oder Umbrüche wie aktuell in der Automobilindustrie können Unternehmen in finanzielle Schieflagen bringen.
- Branchenspezifische Risiken: In stark regulierten Branchen oder Märkten mit hohen Innovationsraten kann der Druck enorm sein.
- Hohe Kosten: Die hohen Energiekosten und Lohnnebenkosten in Deutschland setzen derzeit viele Unternehmen unter Druck und bringen sie gegenüber der ausländischen, oft asiatischen Konkurrenz, ins Hintertreffen.
Woran können Sie eine bevorstehende Insolvenz erkennen?
Wie ist die Auftragslage, verkaufen sich die Produkte gut oder herrscht Kurzarbeit in der Fertigung? Als Arbeitnehmende können Sie, auch ohne alle Kennziffern und Unternehmensdaten zu kennen, die aktuelle wirtschaftliche Situation Ihres Arbeitgebers oft sehr gut einschätzen. Rainer Knoob macht dazu deutlich: „In jedem Fall empfiehlt es sich, die Augen und Ohren offenzuhalten, offizielle Informationen der Unternehmensleitung aufmerksam zu verfolgen und darüber hinaus den Austausch mit dem Betriebsrat sowie Kolleginnen und Kollegen zu pflegen.“
Warnsignale für eine drohende Insolvenz
Denn wer die wirtschaftliche Lage im eigenen Betrieb kennt oder gut einschätzen kann, wird von schlechten Nachrichten nicht aus blauem Himmel überrascht. Schließlich kommt es auch zu einer Insolvenz nicht über Nacht – im Gegenteil, meist bildet dies den Schlusspunkt einer oft monatelangen Negativentwicklung im Unternehmen. Dabei gibt es verschiedene klare Anzeichen dafür, dass ein Unternehmen in substanziellen finanziellen Schwierigkeiten steckt:
- Wiederholt verspätete oder ausbleibende Gehaltszahlungen
- Drastische Kosteneinsparungen, etwa durch Entlassungen
- Kurzarbeit oder ähnliche Maßnahmen
- Flaute in der Produktion, verlorene Kundenbeziehungen
- Gerüchte über finanzielle Probleme oder drohende Schließungen
- Rückgang von Investitionen in das Unternehmen
Ablauf eines Insolvenzverfahrens: Was passiert bei einer Insolvenz des Arbeitgebers?
Der Insolvenzantrag
Das Insolvenzverfahren beginnt mit dem entsprechenden Antrag, der entweder vom Unternehmen selbst oder von betroffenen Gläubigern gestellt wird. Ziel ist es, die Interessen aller Beteiligten – einschließlich der Arbeitnehmenden – zu wahren.
Vorläufiger Insolvenzverwalter
Nach Antragstellung bestellt das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Dieser prüft, ob eine Weiterführung des Betriebs möglich ist und sichert die noch vorhandenen Vermögenswerte.
Schutzschirmverfahren
Das sogenannte Schutzschirmverfahren ermöglicht es Unternehmen, sich unter Aufsicht selbst zu sanieren. Arbeitnehmende können in dieser Phase oft weiterhin beschäftigt bleiben, müssen jedoch mit Gehaltseinbußen rechnen.
Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Wenn das Gericht die Insolvenz eröffnet, übernimmt der Insolvenzverwalter die vollständige Kontrolle über das Unternehmen. Arbeitsverträge bleiben zunächst bestehen, können jedoch gekündigt oder geändert werden.
Ihre Rechte als Arbeitnehmende bei Insolvenz
Eine wichtige Information für Arbeitnehmende vorab: „Der Insolvenzantrag ändert für Beschäftigte zunächst nichts am Arbeitsverhältnis, der gemeinsam vereinbarte Arbeitsvertrag hat unverändert Gültigkeit“, erklärt Ingrid Brand-Hückstädt, AUB-Expertin und Fachanwältin für Arbeitsrecht. Sie betont: „Arbeitnehmende haben weiterhin die Pflicht, die vertragliche Arbeitsleistung zu erbringen.“
Gehaltsansprüche und Insolvenzgeld
Im Fall einer Insolvenz sollten Sie möglichst schnell Insolvenzgeld bei der zuständigen Agentur für Arbeit beantragen. „Voraussetzung dafür ist eine Insolvenzbescheinigung, die Sie vom Arbeitgeber oder vom Insolvenzverwalter bekommen“, erklärt die Juristin Ingrid Brand-Hückstädt. Zudem erhalten Betroffene in der Regel ein Anschreiben vom Insolvenzverwalter, um ihre finanziellen Forderungen im Rahmen des Verfahrens geltend machen zu können.
Wichtig zu wissen: Insolvenzgeld wird höchstens für drei Monate gezahlt. Besteht danach keine direkte Folgebeschäftigung, müssen Sie sich als arbeitslos melden, um weitere finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen zu können. Weitere Informationen und entsprechende Formulare finden Sie auf der Website der Bundesagentur für Arbeit. Der Antrag muss schriftlich oder elektronisch innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach der Insolvenzeröffnung bei der Agentur für Arbeit eingereicht werden.
Urlaubsansprüche und mehr
- Urlaubsansprüche: Sie bleiben bestehen, können jedoch nur im laufenden Arbeitsverhältnis genutzt werden.
- Überstunden: Diese müssen als Insolvenzforderung angemeldet werden.
- Sonderzahlungen: Weihnachts- oder Urlaubsgeld hängt von vertraglichen Regelungen ab und wird meist als einfache Insolvenzforderung behandelt.
Kündigung und Sozialauswahl bei Insolvenz
Bei betriebsbedingten Kündigungen im Rahmen einer Insolvenz muss der Insolvenzverwalter eine Sozialauswahl vornehmen. Zu den gängigen Kriterien zählen insbesondere:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Lebensalter
- Unterhaltspflichten
- Grad einer evtl. Schwerbehinderung
Checkliste: Wie reagieren Sie richtig auf die Insolvenz Ihres Arbeitgebers?
Erforderliche Schritte bei einem Gehaltsausfall
- Wenden Sie sich an Ihren Arbeitgeber und/oder suchen Sie die Unterstützung Ihres Betriebsrates, um die Situation zu klären.
- Beantragen Sie Insolvenzgeld bei der Bundesagentur für Arbeit.
- Prüfen Sie, ob Sie Ihre Ansprüche korrekt dokumentiert haben.
Forderungen anmelden und Fristen beachten
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens müssen Sie Ihre Forderungen schriftlich beim Insolvenzverwalter anmelden. Achten Sie darauf, alle relevanten Dokumente bereitzuhalten. Dazu zählen beispielsweise Ihr Arbeitsvertrag, Gehaltsabrechnungen und ggf. Nachweise über Überstunden.
Arbeitslos melden
Wenn Ihnen gekündigt wird, melden Sie sich umgehend arbeitslos. Dies ist nicht nur für den Bezug von Arbeitslosengeld wichtig, sondern auch, um Ihre Krankenversicherung aufrechtzuerhalten.
Unterstützung durch Arbeitnehmervertretung und Betriebsräte
Als AUB-Mitglied erhalten Sie bei uns selbstverständlich im Fall einer Insolvenz Ihres Arbeitgebers umfassende Unterstützung und rechtliche Beratung. Auch Betriebsräte spielen eine wichtige Rolle, da sie die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber dem Insolvenzverwalter vertreten.
Praktische Tipps: Wie sichern Sie Ihre Ansprüche?
- Dokumentation: Halten Sie alle arbeitsrechtlichen Dokumente griffbereit.
- Rechtliche Beratung: Ziehen Sie im Zweifel einen Fachanwalt für Arbeitsrecht hinzu. Tipp: Bei der AUB erhalten Sie als Mitglied rechtlichen Rat und profitieren zudem auf Wunsch von einer Rechtschutzversicherung der ARAG.
- Neuorientierung: Auch wenn es leichter gesagt als getan ist – versinken Sie nicht in Frust und Angstgefühlen, sondern nutzen Sie diese schwierige Zeit aktiv, um Bewerbungen zu schreiben und Weiterbildungsmöglichkeiten wahrzunehmen.
- Netzwerken: Suchen Sie aktiv den Kontakt zu ehemaligen Kollegen oder Branchenkontakten, um neue Jobchancen zu erschließen.
Was passiert mit meiner Altersvorsorge?
Betriebliche Altersvorsorgeansprüche sind durch den Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) abgesichert. Dieser übernimmt die Zahlungen, wenn das Unternehmen insolvent ist. Der Pensions-Sicherungs-Verein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG) ist der gesetzlich bestimmte Träger der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung in der Bundesrepublik Deutschland und im Großherzogtum Luxemburg. Mitglieder des PSVaG sind die Arbeitgeber, die insolvenzsicherungspflichtige betriebliche Altersversorgung durchführen.
Fazit
Die Insolvenz des Arbeitgebers ist eine belastende Situation. Nach dem ersten Schock sollten Sie klaren Kopf bewahren! Informieren Sie sich frühzeitig über Ihre Rechte, melden Sie Forderungen rechtzeitig an und nutzen Sie Unterstützung durch die Arbeitnehmervertretung AUB, Ihren Betriebsrat und bei Bedarf durch Rechtsberater. Denken Sie daran: Jede Krise bietet auch die Möglichkeit für einen Neustart – beruflich und finanziell.